König Fußball – ein Wintermärchen
4. März 2019 | Von Autor | Kategorie: AllgemeinesTrübe Blicke schweiften über sein Reich. Schlaff bis zur Nasenspitze schlurften die Lider. Ermattet von den ewig gleichen Repräsentationspflichten, kalorienreichen Festmenüs, Grußonkeleien, gähnte der Schrullige und entblößte eine Reihe ruinenhafter Goldzähne.
Das endlose Bla-Bla vorgestanzter und angeranzter Floskeln dieser poliert-billardkugelköfpigen Nacktmulle aus der Schweiz, Funktionärs-Honoratioren aus ‚Großmächten’ wie Gibraltar bis Tonga ließ er an virtuell geschlossenen Hörmuscheln vorbei ziehen wie lautlose Fürze. Wer zum Teufel hatte ihn zum König ernannt? Zum König Fußball? Oder hatte er sich, wie Neider behaupteten, schon anno 1860 selbst dazu ausgerufen?
Jetzt wollten diese kruden Funktionäre ihn endgültig kalt stellen. Sofern sie nicht gerade im US-Knast saßen, denn so gut wie alle seine eilfertigen ‚Diener’ waren korrupt, dass die Schwarte krachte..
Der kleine Jan von nebenan rief über den Zaun: „Hej, Alder! Wir wollen kicken. Aber wir sind nur fünf! Wir brauchen sechs! Sonst läuft das nicht. Willste mitzocken? Du bist doch König Fußball. Brauchste nur die Blechkrone auszuziehen. Sieht sowieso panne aus!“
Der Alte auf der Terrasse ruckte hoch aus seinem Dämmerschlaf. Beschämt blickte der König an sich herab. Kicken? Nicht einmal die Schuhe konnte er noch binden, ohne in einen Bodenspiegel zu linsen.
„Aber .. ich bin doch … alt … ein bisschen .. schwer“, barmte er. Sein krummer Rücken schmerzte sowieso mal wieder. Die Brille rutschte auf die Nasenspitze.
Jan stampfte auf den Boden. „Hör auf mit dem Geheule! Zieh’ die Badelatschen aus und Fußballschuhe an! Entweder du machst bei uns Kleinen mit, oder .. du bist kein König Fußball mehr!“ Seine tiefblauen Augen funkelten. Der König grübelte seit Jahren schwer. Immer neue Wettbewerbe sollte es geben. Am Ende würden Spielermarionetten zum Kassemachen für die Gangsterclique jeden Tag antreten müssen! Zugegeben, die einige Tausend Profis weltweit verdienten zwischen 50.000 und 15 Millionen im Jahr, aber für den alten König war wahrer Fußball nur derjenige des Fußvolks, der kleinen Ligen, der Kinder auf dem Bolzplatz. Mit Schrammen an Knien und Schienbeinen, TOOOR-Gebrüll, dem süß-sauren Geruch ehrlichen Schweißes, aber dem Leuchten, diesem Leuchten in den Augen nach all dem Gerenne, Gehakel, Gewusel: Toor! Mit dem Glücksgefühl am Ende, es wieder einmal zelebriert zu haben – das Spiel.
„Jo, is denn schon wida Woinachtn?“, brummte der König. Jans Augen strahlen. Auf der Wiese bei Bauer Kalli markierten Mützen und Pullover die Tore. Vom Getöse angelockt, strömten Spielwütige herbei, Jungs, Mädchen. Die Minis kreiselten wie die Zauberzwerge.
Dem König wurde das Tor zugewiesen. Wie immer unter Jugendlichen: Der Schlechteste geht ins Tor, der Zweitschlechteste auf Linksaußen. Aber zu breit war er, wie ein Torhüter im Eishockey. Keiner kam vorbei. Selbst in die raren Pfützen im Strafraum, Überbleibsel vom letzten Regenguss. platschte er juchzend, Zottelbart, wirrer Haarschopf und Brille standen vor Matsch, gerad noch die blauen Äuglein blitzten aus dem Gesicht. Die meisten Bälle prallen von seiner Wampe ab. Zum ersten Mal seit Jahren lachten seine Augen.
‚Geh’ nach vorn’, ordneten die Mitspieler an. ‚Als Mittelstürmer brauchste nur an der richtigen Stelle stehen und ’nenFuß hinzuhalten’. Der König straffte sich, rannte, dribbelte, grätschte sogar. Ackerte wie blöd. Atmete schwer, keuchte, schniefte, schwitzte wie das eifeler Landschwein, kotzte sich die Seele aus dem Wanst, stank zum Hímmel, aber spielen – das ging immer besser. Sprachlos staunten die Mitspieler, wie ein Pfund nach dem anderen purzelte. Zunächst stapelten sie Eckfahnen aus der klebrigen Masse. Als das nicht aufhören wollte, markierten sie damit die Tore. Ok, die standen etwas schief, die Querstangen hingen leicht durch, aber – „Fußball ist unser Leben“, sangen inzwischen 10.000 Fans. Des Königs Kleider flatterten ab und an wie Eckfähnchen im Winde. Rasch kramten die Minis aus ihrem Notfallkoffer den Tacker hervor, verpassten dem König Abnäher, und schon sah der wieder prick aus.
„Autsch“, jodelte der König, als ihn eine Klammer im Gesäß traf, und lachte.
Ratterratter landete nebenan ein Hubschrauber. Niemand anderer als FIFA-Präsident Infantino entstieg dem Fluggerät. Buckelnde hatten flugs einen roten Teppich ausgerollt. Er war im Überschalljet der FIFA bis Köln/Bonn gedüst. Putin hatte beide Spielzeuge gesponsort, um die WM 2018 zu bekommen.
Der Funktionär grüßte den König scheinbar höflich mit devotem Kratzfuß. Der alte Trottel glaubt immer noch, beim Fußball geht es ums Spiel. König Fußball blickte sparsam zurück. Tosende Proteste. Den Ankömmling band man mit Fußballschals auf einen Campingstuhl und beförderte den Zappelnden auf den nahen Misthaufen. Ihm zur Seite landete ein Böller werfender Chaot. Längst waren Brauereiwagen von der nahen Paffenbrauerei heran gerollt: Alkoholfreies Bier und schwarzbraune Zuckerplempe für Jugendliche. Hinterdrein eine Prozession Dixiklos.
Von dem ganzen Zirkus, Live-Übertragungen – Breaking News – und einem Internet-Sturm angelockt, tauchten wie aus dem Nichts die Fußballmaskottchen auf. Hennes, Jünter, Hertinho, Bernie, Dino und die anderen. Sie tagten gerade im nahen El Paradiso-Saunaclub.
„Hej, wir spielen gegen euch!“ forderten sie die Minis um König Fußball heraus. „Dreimal hipp hipp hurra auf König Fußball!“ Inzwischen war auch Königin Leichtathletik aus Moskau herbeigedopt. Der König warf sich mit den Kids ins Getümmel. Die Maskottchen hielten volles Rohr dagegen. Allein – der König schien in ein Kryptonbad getunkt: Wampe weg. Buckel gerade, Hinterteil schlank. Falten gestrafft. Zauberte wie in alten Tagen. Aber die Maskottchen setzten ihnen derart zu, dass die Minis bald hinten lagen. Spektakuläre Tore und Paraden auf beiden Seiten. ‚Schiedsrichter brauchen wir nicht, wie immer, wenn wir kicken’, waren alle einig. Drei Ecken, ’nen Elfer. König Fußball erzielte einen Hattrick. Inzwischen war auch Bundes-Jogi herbeigeschwebt. Stich mit beiden Händen brutalscht durch das frisch verfönte Undercut-Toupet, während Fans den Daumen nach unten reckten. Der Weltfußballdeuter nahm brutalscht auf dem eilends heran geschafften Chaiselongue Platz.
Der Hofhahn und seine Hühnerschar umkreisten den Misthaufen, schlugen Loopings und drückten zielgenau im Sturzflug ab. Auf die Pläät, den Boss-Anzug, die Gucci-Schuhe. Auch den Chaoten verschonten sie nicht. Ihr Gekreische klang wie „Icke, acke, Hühnerkacke; heute kriegste’s auf die Backe“. Adler Attila von der Frankfurter Eintracht und Storch Stolle von Holstein Kiel hatten ihre entfernten Artgenossen fies aufgestachelt.
Bauer Kallis Würstchen-Duft waberte über das Gelände und ließ in den Mündern Speichel zusammenlaufen. Die Bäckerei hatte säckeweise Brötchen heran geschafft. Die Gulaschkanone des Karnvevalsvereins dampfte herbei. Am Kopf der Schlange vor dem Bagatelle-Cateringwagen ertönten Entzückensschreie. Irgendwann gebot Bauer Kalli dem Treiben seiner Gefiederten Einhalt: „Eure Lage ist ja ziemlich be..schissen!“ lästerte er die Misthocker.
„Würstchen, Brötchen, Getränke, Klos, Trikots, Fahnen – alles für ümme“, ordnete König Fußball an. Aus Infantinos Taschen hatten die Fans eine Million geklaubt, Schwarzgeld. Vom Araberscheich für die WM im Ministaat Katar hingeblättert. „Peanuts“, brüstete sich der Funktionär und zahlte ‚freiwillig’, um der Sch… zu entkommen. Dem Pyromanen hielt jemand ein Feuerzeug an die wie üblich in den Gesäßfalten versteckten Raketen – puffff! Endstation Jauchegrube. Er hatte das Seepferdchen mit acht gemacht.
Am Ende stand das Spiel Unentschieden. „Hey, Alder, am Samstag ist Revanche. Da biste doch wieder dabei, oder“, erkundiget sich Jan. Ein Nein würde er nicht akzeptieren, wusste König Fußball. „Ey, und dann könnste mal den Bart abmachen und Friseur wär’ auch nicht schlecht.“.
Der König lachte, bis sein Bauch schmerzte.